Dô an diesem Ort Vielfalt begrüßen
In der Dornbirnerstraße, genau dô, wo früher der Carla Einkaufspark beheimatet war, ist ein neues Sozial- und Kulturzentrum mit Fokus auf die Jugend am Entstehen. Was es damit auf sich hat, wollten wir vom neu bestellten Intendanten Florian Gerer wissen.
Schulabbruch und Masterstudium
Florian Gerer, 35, wohnhaft in Hard, passt in keine Kategorie. Und das ist ihm auch ganz recht so. Gut bürgerlich sozialisiert und gleichzeitig in der Subkultur groß geworden. Tattoos am Arm und Hemd mit Kragen. Schulabbruch und Masterstudium. All das geht bei ihm zusammen. Und davon wird auch das „dô“ profitieren. Als Intendant möchte er dieses soziokulturelle Zentrum in einem möglichst breiten Kulturverständnis bespielen und erlebbar machen. Orientierung dazu liefert die Jugendstrategie 2025 der Marktgemeinde Lustenau wie auch andere soziokulturellen Initiativen im In- und Ausland. Wir haben mit Florian Gerer über seine persönliche Laufbahn, seine Haltung und seine nächsten geplanten Schritte gesprochen.
Lieber Florian, erzähl uns doch ein bisschen von deinem Background.
Um meine Rolle hier im dô besser verstehen zu können, muss ich etwas ausholen. Mit 15 habe ich die Schule abgebrochen, weil mir diese Art von Bildung damals schon fremd war. Ich fühlte mich in der Skateszene zu Hause und konnte mich in dieser Subkultur entfalten. Da ging es immer darum, einfach Sachen zu machen. Wir haben so viele Projekte umgesetzt, vor allem im Bereich Fotografie, Videodreh, Grafik – so bin ich mit vielen Künsten in Berührung gekommen.
Und wie ist es in Sachen Ausbildung weitergegangen?
Erst habe ich eine Lehre zum Druckvorstufentechniker gemacht, war dann Zivi beim Roten Kreuz und habe später in einem Skateshop gearbeitet. Durch den „sozialen Gedanken“, der dort gelebt wurde, war Konsum stets dem Gemeinschaftsgedanken untergeordnet. Dadurch fühlten sich auch marginalisierte Jugendliche wohl, der Skateshop war für sie eher ein Jugendtreff. Plötzlich aber hat sich die Szene verändert, Firmen sind mit ihren Labels auf den Markt gedrängt, es ging immer stärker um Verkauf und Marketing. Das hat dann nicht mehr unserer gelebten Ideologie entsprochen. Und so kam es zu einer Umorientierung. Ich beschloss, Lehrer zu werden, habe die Studienberechtigungsprüfung gemacht und die PH absolviert.
Zurück ins Schulsystem??
Ja, im Grunde war es mein sozialer Ansporn, der mich dorthin zurückführte. Ich hatte bereits nebenher Lernhilfe gegeben, war in der Jugendarbeit und nach wie vor in der Skateszene aktiv – und Schule war und ist für mich ein Querschnittsort mehr, wo man den Blick auf alle hat.
Zudem bist du als Künstler tätig und hast inzwischen auch einen Master in „Soziale Arbeit“.
Genau. Ich bin beim Forum KunstVorarlberg aktiv und realisiere Ausstellungen, merke aber auch hier immer wieder, dass ich dabei nur eine sehr homogene Gruppe erreiche. Weil mir aber das Interdisziplinäre so wichtig ist, der Blick auf die gesamte Gesellschaft, habe ich mich entschlossen, dieses Erfahrungswissen um ein Studium zu ergänzen.
Hier vor der Tür prangt ein Zettel mit der Aufschrift „Hausmeister“ und deinem Kontakt. Du verstehst dich im dô ebenso als Gastgeber und bist als Intendant angestellt. Mit welcher Zuschreibung identifizierst du dich am ehesten?
(lacht) Gerade eben bin ich wohl tatsächlich vor allem der Hausmeister. Die Räume sind erst am Entstehen, im Grunde ist das noch eine Baustelle und gleichzeitig passiert hier doch schon einiges.
Zum Beispiel?
Wir hatten bereits eine Kleider-Austausch-Börse, die von der Bücherei organisiert wurde. Im Zuge eines Wilma-Workshops gab es für HAK-Schüler:innen hier einen Mittagstisch und selbst haben wir einen Workshop mit dem Skateboardverein Breakless veranstaltet. Dabei ging es um das Habedere bzw. darum, wie Skateboarding in Lustenau gestärkt werden kann – nicht nur über den sportlichen, sondern auch über den kulturellen Zugang. Und in diesem Kontext konkret um ein Projekt, das dann im dô entstehen wird.
Schreckt die Berufsbezeichnung „Intendant“ Kinder und Jugendliche nicht eher ab?
Nein, Kinder und Jugendliche interessieren „Titel“ nicht. Kinder und Jugendliche lassen sich nicht blenden von Bildungsabschlüssen. Was schlussendlich zählt, ist, wie miteinander umgegangen wird. Für Erwachsene hingegen hat dies eine zentrale Bedeutung, da es auch die hier entstehende Tätigkeit mitdefiniert. Diese Tätigkeit nimmt dann auch direkt Einfluss auf das Gebäude.
Apropos Gebäude: Wie darf man sich die Räumlichkeiten des „dô“ vorstellen?
Es gibt den „Open Space“, der von Jugendarbeiter:innen betreut wird, den „Project Space“, der eine Küche wie auch Möglichkeiten zum Basteln und Werken beinhaltet und dann auch noch den „Culture Space“, einen offenen Raum, der davon lebt, was darin gemacht wird. Dem übergeordnet soll das dô anregen,sich einzubringen, mitzudenken, mitzumachen, zeitgleich aber auch einen Ort ohne Konsum- und andere Zwänge darstellen. Es soll ein kreatives, kulturelles „Kann“ und kein „Muss“ werden.
Skizziere uns doch so eine Möglichkeit.
Vielleicht finden wir eine:n Künstler:in, der oder die hier temporär arbeitet und wir laden Schulen ein, vorbeizukommen? Oder die Jugendlichen, die hier im „Open Space“ verweilen, wollen mitarbeiten? Vielleicht möchten ein paar Jugendliche ein offenes Lernhilfe-Atelier, ein Konzert, eine Ausstellung machen? Die Möglichkeiten sind sehr vielfältig. Es wird jedenfalls viel Vernetzungsarbeit zu Schulen, Vereinen usw. notwendig sein, damit sich der Ort entfalten kann. Wichtig ist es, herauszufinden, welche Themen für die Jugend relevant sind.
Es soll ein kreatives, kulturelles „Kann“ und kein „Muss“ werden.
Was treibt dich persönlich an – im Hinblick auf diese neue Funktion?
Mir geht es darum, sich nicht ständig in Kategorien zu verlieren, stattdessen Blickwinkel zu verändern und Jugendliche wirklich partizipieren zu lassen, sprich, gemeinsam mit ihnen an einem Tisch zu sitzen und sich die Dinge auszumachen. Dazu ist es wichtig, Barrieren zu identifizieren, zu thematisieren und abzubauen, eine Fehlerkultur zuzulassen, Gedanken frei und offen mitteilen zu dürfen. Ich bin davon überzeigt, dass kulturelle Bildung die Bildungschancen immens erhöhen kann. Kultur ist ein Menschenrecht und es kann nicht sein, dass Kultur nur zwei Prozent der Bevölkerung erreicht. Unser Ziel ist es, einen positiven, soziokulturellen Beitrag für den Sozialraum Lustenau zu leisten. Lustenaus Vielfalt zu erkennen und zu fördern kann dabei das gute Miteinander stärken. Eine gestärkte und vernetzte Gesellschaft führt wiederum zu neuen Ideen, was genau im Sinne einer aktiven Gemeinde ist.