Dicht und hoch in Lustenau
Wir werden mehr. Also wohin mit all den Menschen? Nach einer Phase der Ausbreitung an den Rändern ging es zwischenzeitlich in die Höhe und nun vermehrt in die Dichte. Vom Leben in einer wachsenden Marktgemeinde mit variablen baulichen Facetten.
Dem Bauernstand ging es mal besser, mal schlechter in der Geschichte von Lustenau. Zu viel des Guten gab es aber über viele Jahrzehnte in kaum einer Hofstatt, nur Kinder waren immer reichlich da.
Der Umstand, dass nicht alle Kinder nach der Übergabe durch die Alten zu Hause wohnen bleiben konnten, schon gar nicht in der dritten, vierten und allen weiteren Generationen, erschließt sich schon mit einfachsten Rechenkenntnissen. Durchschnittlich fünf Kinder mal drei Generationen mit Ehegatten und wieder Kindern - das ist ein Haufen Leute. Logisch daher: Ein paar müssen immer weg vom Hof. Und auch der Lebensunterhalt muss von den sozusagen überzähligen Geschwistern anderweitig verdient werden. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts brach die Bauwut aus, weitere Nestflüchter fanden in der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen in den sogenannten „Nebenerwerbssiedlungen“ ihre neue Heimat. Und wie der Name schon sagt, hat man sich nicht sofort und gänzlich von der bäuerlichen Selbstversorgung und dem Broterwerb aus dem Land gelöst. Das Phänomen Nebenerwerbslandwirtschaft zieht sich übrigens bis in die heutige Zeit, wenn auch natürlich nicht mehr in diesem Ausmaß. Aber das ist eine andere Geschichte.
Eins, zwei, viele - und wohin mit ihnen?
Wohin also mit all den Wohnungssuchenden? An den Siedlungsrändern wurde kräftig umgewidmet und versiegelt, und immer noch reichte es nicht für alle. Also in die Höhe mit den Bauten, vier, sechs, zehn Geschosse, viel Wohnung für wenig Grund! Ästhetik war (und ist) ja eine Frage des Zeitgeschmacks, und was unseren Vorfahren als schöne neue Welt erschienen war, galt später womöglich als hässliche Betonburg - wie der Pontenblock, der einst sogar ein Wahrzeichen Lustenaus war, oder der Engel-Block.
Also in die Höhe mit den Bauten, vier, sechs, zehn Geschosse, viel Wohnung für wenig Grund!
Aus heutiger Sicht mögen die „Blöck“ zuweilen riesig, fremd und aus der Zeit gefallen anmuten. Und man kann sich gar nicht vorstellen, dass man sie so ohne weiteres genehmigt und hingeknallt hat. Bürgerproteste und Aufmüpfigkeiten mit Rechtsbeiständen hat es wohl eher weniger oft gegeben. Für viele heute unvorstellbar: Das waren begehrte, moderne, wetterdichte, warme, saubere und vor allem ganz neue Wohnungen - und weit weg von der groß- familiären Überwachung waren sie, mit Balkon und Ausblick noch dazu. Man stelle sich vor, aus einem der uralten Bauernkeuschen mit zwei Meter hohen Decken und papierblattgroßen Fenstern gekommen zu sein, mit Holzofen, Zugluft und Hofabort – und dann eine brandneue Wohnung zu beziehen, wo man die Kleinen sogar am Boden spielen lassen konnte im Winter! Luxus ist eben ganz relativ und immer auch dem Geschmack und den Bedürfnissen der Zeit geschuldet. Man munkelt, die heutigen Bewohner:innen würden um keinen Preis tauschen wollen mit einer neuen Wohnung in einer der zahllosen Kleinwohnanlagen des Ortes.
Blick zurück durch die Betonbrille
Die Geschichte der „Blöck“ beginnt schon vor etwa 80 Jahren. Während des Zweiten Weltkrieges kamen die Südtiroler Optanten „heim ins Reich“, mehr oder weniger freiwillig. Nicht immer waren sie hier willkommen, aber da es nun mal „Deutsche wie wir“ waren, hatten sie ein Recht, hier zu sein, und also hat man ihnen Platz gemacht. Nicht mittendrin bei den „Ureinwohnern“, sondern in den noch heute so genannten Südtiroler Siedlungen. Ein Kuriosum am Rande: In den 101 Wohnungen in 23 Häusern sind 1949 nur 4 (!) Familien aus Südtirol gemeldet. Da haben wohl einige Lustenauer Familien die Gelegenheit beim Schopf gepackt, in eine der begehrten neuen Wohnungen einzuziehen.
Luxus ist eben ganz relativ und immer auch dem Geschmack und den Bedürfnissen der Zeit geschuldet.
Bis heute haben die langgestreckten Mehrfamilienhäuser mit zwei Stockwerken, uniformen Sprossenfenstern, schmucken Fensterläden und Giebeldächern nicht nur in Lustenau ihren ganz besonderen Charme bewahrt. Man biegt um eine Kurve, und obwohl man das letzte „normale“ Siedlungshaus kaum im Rücken gelassen hat, tut sich eine Kleinstadt in der Gemeinde auf, ein Ort wie keiner sonst. Die Wohnungen waren (und sind) durchaus zweckmäßig, aber auch recht charmant, und die Grundrisse sind auch heute noch mit kleinen Adaptionen geräumig und wohnlich. Großzügige Grünflächen zwischen den Häusern waren ursprünglich als Gemüsegärten angelegt, damit die Bewohnerinnen, meist aus dem Südtiroler Bauernstand kommend, ihre eigene Versorgung in diesen Mangelzeiten sichern konnten. Man blieb irgendwie unter sich und das tut man in der Südtirolersiedlung heute noch, wenn sich die Bewohner:innen nun aber auch auf sehr viele Herkunftsnationalitäten, vor allem seit dem Zuzug vieler Gastarbeiter in den 70er und 80er Jahren, aufteilen.
Aufbruch und Neubau
In den 50er Jahren kam es zu einer enormen baulichen Betriebsamkeit, die bis heute anhält. Man ging zunächst in die Breite; die neue Zeit verlangte nach neuen Häusern, und die wurden - aus heutiger Sicht recht wahllos - zuweilen auch mitten ins Ried gestellt, aufgefädelt wie Holzperlen an einer geraden Schnur, wie die Feldkreuzsiedlung. Aber auch die ersten „Blöck“ wuchsen vielstöckig und unübersehbar in den Lustenauer Himmel. Engelblock, Pontenblock, Reginablock und die drei Baukörper in der Hofsteigstraße wurden innerhalb von nur fünf Jahren hochgezogen und haben das Ortsbild damit über Jahrzehnte geprägt.
Abgewandt und doch dabei
Eine weitere „Stadt in der Stadt“ – und damit spannt sich der Bogen zur Südtiroler Siedlung – ist die vergleichsweise neue Hannes-Grabher-Siedlung, auch, ihrer Form wegen, „Bananen-Blöck“ genannt. In einem weiten Bogen, zur Straße und zum verkehrsbelagerten Engel-Kreisverkehr hin abgewandt und nahezu verschlossen, als ob sie einem die kalte Schulter zeigen wollten, öffnen sich die bogenförmigen Wohnungen 3- und 4-geschossig hin zum Rhein und blicken rüber in die Schweiz, das Land der vielen Möglichkeiten und der gut bezahlten Jobs. Nur noch halb so hoch wie die 60-er-Blöcke, aber ausgreifend und in sich geschlossener, markieren sie einen Wendepunkt hin zu den zahllosen Kleinwohnanlagen und Mehrfamilienhäusern, die bis heute die Bautätigkeit in Lustenau unübersehbar prägen. Wer weiß, vielleicht ändert sich die Bauordnung noch einmal fundamental, und wir erleben Hochbauten, die tatsächlich großstädtische Akzente setzen werden. Aber bis dahin wird vermutlich noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen.