Ein Esskultur - Roadtrip

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Bei einer ihrer Essen-auf-Rädern-Touren durften wir Monika Vetter über die Schulter schauen. Außerdem waren wir bei einem fröhlichen Mittagessen im Kindergarten Weiler zu Gast. Insgesamt zeigt uns unser Roadtrip: Die Lustenauer „Esskultur“ ist nicht nur ein Top-Lieferservice, gerade auch die soziale Komponente des Projekts ist bemerkenswert. 

Montag, exakt 7:50 Uhr. Esskultur-Mitarbeiterin Monika Vetter steigt in ihren Lieferwagen und aktiviert das Navi, das sie wie immer durch die tagesaktuellen Essen-auf-RädernBestellungen lotsen wird.

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Jeden Vormittag fahren sie und ihre Kolleg:innen vom Ausgangspunkt Schützengarten los und liefern in ganz Lustenau frische Mittagsmenüs an Seniorinnen und Senioren aus. Je nach Kundenwunsch legt Monika die vitalstoffreich gefüllte Transportbox still und leise vor die Tür, oder aber sie wird freudig ins Haus gebeten und sogleich mit den neuesten Infos rund ums persönliche Wohlbefinden versorgt. Man merkt, dass es hier um weit mehr als nur ums Essen geht: Für viele ältere Menschen ist der persönliche Zustellservice eine willkommene Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln. Monika weiß, wer einsam ist, wer eine Ermunterung braucht oder einfach nur eine kleine Unterhaltung. Bisweilen ist man bereits unter dem Türrahmen in medias res: Mitten in einem Schwank aus dem Leben, der ansonsten kaum mehr Zuhörer:innen findet. Und so manche Seniorin trifft man gar beim Morgensport an: ob beim Treppenlaufen mit Mütze und Schal im kühlen Stiegenhaus oder in der Turnhose aufrecht vor dem Fernsehbildschirm, um sich „fit mit Philipp“ zu halten. 

Essen auf Rädern, so funktioniert‘s:

Jedes Gericht wird täglich frisch zubereitet, ohne Fertigprodukte oder Zusatzstoffe, dafür mit saisonalen und regionalen Lebensmitteln. Die auf 4 Grad heruntergekühlten Speisen werden auf Porzellangeschirr angerichtet und zwischen 8.00 und 11.00 Uhr in einer gut verschlossenen Box geliefert. Zuhause kann die Mahlzeit zum selbst gewählten Zeitpunkt auf der einfach zu bedienenden Platte schonend erwärmt werden.

„Heimelige Kost“

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Essen auf Rädern bedeutet für die ältere Generation und deren Angehörige eine große Entlastung. Dabei hat sich die Art und Weise, wie gekocht wird, vor rund einem Jahr stark verändert. Seitdem steht der Name Esskultur für ein Konzept, das in der Gemeinschaftsküche auf frisch Gekochtes mit hochwertigen Zutaten von Feldern und Höfen aus der Region setzt. Für manchen Gaumen mag es durchaus eine Umstellung gewesen sein, wenn statt Geschmacksverstärkern viel Würze aus der Natur zum Einsatz kommt, aber der allgemeine Tenor zeigt: Die vollwertige Kost der Esskultur wird geschätzt. Geschnetzeltes mit Speck und Champignons beispielsweise, dazu Nudeln oder – als vegetarische Variante – Bio-Dinkelpasta mit Tomaten-Gemüse-Sauce. Vorweg eine Suppe und Obströster hernach. Je nach Gesundheitszustand und Vorlieben wird auch abseits des Plans geliefert: Schonkost, allergenfrei, Reis statt Nudeln oderumgekehrt. So richtig „heimelig“ mute sie das Essen an, das von der Esskultur kommt, gesteht uns eine Pensionistin: „Ein bisschen wie früher“, sagt sie, würde es schmecken. Eine andere hingegen beschwört gerade das Zeitgemäße des neuen Küchenkonzepts: „Man merkt, dass moderne Köche am Werk sind. Es ist besser als früher.“ Rita Fenkart, die wir sogar fotografieren dürfen – diesbezüglich sind die älteren Damen und Herren nämlich durchaus zurückhaltend – fasst es so zusammen: Die Umstellung sei „kolossal“ gewesen, aber inzwischen schmecke es ihr sehr gut. Und Gebhard Bösch spricht dem Essen-auf-Rädern-Service ein generelles Lob aus: „Ich bin sehr zufrieden. Wenn nur alles im Leben so gut funktionieren würde.“

„Nochmaaaal“

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Schauplatzwechsel in den Kindergarten Weiler. „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, guten Appetit ihr Lieben“schwingt sich die Mittagsgruppe auf ihr alltägliches Essensritual ein. Auch bei den ganz Kleinen bestätigt sich: Viele Menschen, viele Geschmäcker! Das Essen kommt in Schüsseln, aber jedes Kind wird dennoch individuell bedient: „Magst du Salat? Karotten? Mit oder ohne Dressing?“ Derselbe Service bei den Nudeln: „Mit oder ohne Tomatensauce, Sauce daneben oder drauf, mit oder ohne Parmesan?“ Nur der Bärlauch ist so gut versteckt, dass man ihn nicht extra wählen kann. Die Kinder essen mit Freude, bestellen eine zweite und dritte Portion, ein lautes „Nochmaaal“ schallt mehrfach durch den Raum. Beim Topfendessert dann ein Zögern. Die Pädagoginnen ermutigen, drängen aber nicht: „Kein Problem, Mutige vor, wer mag einen Löffel kosten?“ Manche wollen, andere nicht. Und immer ist da viel Humor. Salat mit Ketchup und Mayo bestellt der kleine Osman fürs nächste Mal, ein paar Mädchen kichern. „Sie bemühen sich wirklich sehr, dass die Mahlzeiten kindgerecht sind“, lobt Kindergarten-LeiterinAndrea Häusle das Angebot der Esskultur. „Sie gehen auf unsere Wünsche und unser Feedback ein. Es gefällt uns, dass viele heimische Sachen dabei sind. Und gleichzeitig wird sehr viel Rücksicht auf unterschiedliche Kulturen genommen und zum Beispiel ohne Schweinefleisch gekocht.“

Wenn also Vorarlberg der chancenreichste Ort für Kinder werden soll – siehe Vision der Initiative Chancenland Vorarlberg –, dann hat das nicht zuletzt auch viel mit der Ernährung zu tun, ist man sich bei den Lustenauer Sozialdiensten einig. Jung und Alt mit Vitalstoffreichem, Frischem und Genussvollem gleichermaßen zu überzeugen, mag ein Balanceakt sein, vor allem, wenn für alle gleichzeitig gekocht werden muss. Die Esskultur scheint den Bogen raus zu haben. 

Esskultur – ein Projekt der Sozialdienste Lustenau

Rund 100 Seniorinnen und Senioren bekommen in Lustenau ihr Essen nach Hause geliefert, beide Seniorenhäuser sowie 17 Kindergärten und Schülerbetreuungseinrichtungen werden ebenso über die Esskultur-Großküche versorgt. Derzeit noch im Schützengarten stationiert, soll sie ab 2025 im Campus Rotkreuz beheimatet sein und damit eine Kapazitätssteigerung von 500 Essen täglich auf 1000 hinlegen. Mehr unter sozialdienste.lustenau.at/de/esskultur