Die letzte Reise gibt auch noch Arbeit

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Weitab vom Zentrum und nah am Rheinvorland, inmitten der ortsüblichen Einfamilienhäuser und verstreuten Bündten, liegt seit über 40 Jahren der einzige nichtkonfessionelle Gottesacker in der Marktgemeinde. 800 letzte Ruhestätten in beschaulichen Reihen, ein wuchtiges, doch karges Backsteinbauwerk für den letzten Abgang, drei Brunnen, ein paar Bäume und Bänke. Und doch ist der Friedhof Hasenfeld kein unbelebter Ort.

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Für manche Menschen ist ein Friedhof der letzte Ort, an dem sie sein wollen. Für andere ist es der Platz, an dem sie fast täglich arbeiten. Wir wollen uns die letztere Kategorie einmal näher ansehen. Wer lebt am und vom Friedhof, direkt oder indirekt? Da ist zum einen und ersten die Familie Feistenauer, ihres Zeichens Bestatter in der dritten Generation. Angelika Matheisl, Tochter des Altmeisters Martin und Enkelin des Gründers Anton Feistenauer, ist quasi zwischen Särgen aufgewachsen. Das war für sie ganz normal, es gab da keine Tabus, warum auch? Außer vielleicht: Man legt sich in keinen Sarg, auch beim Versteckales nicht. Das Sarglager war für sie das allerbeste Versteck, denn da haben sich die anderen Kinder nicht hineingetraut. Aber weiter als zwischen die Särge ist sie nie gegangen, da wär‘ der Vater wütig geworden. Denn Martin Feistenauer hatte nicht den Ruf, zimperlich zu sein, so erzählt man es sich. Vermutlich kommt das mit dem Beruf? Vielleicht auch nicht. Die Tochter, Angelika, Mutter zweier Kinder (8 und 4), hat eher ein ruhiges Gemüt. Pietät ist die oberste Tugend in diesem Beruf, und dazu gehört auch das Schweigen-Können. Man wird von ihr vergeblich gruselige Geschichten erwarten. Schwager Mathias ergänzt das Führungsteam um Mitarbeiter:innen Nick und Agnes, und Mama Herma kann es immer noch nicht lassen, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und zu helfen, wo sie kann. So ist das in Familienunternehmen, und das macht sie stark. Jetzt würde man sagen: Stark für Krisenzeiten. Aber Krisen im Sinne von Geschäftswegfall gibt es eigentlich nicht im Bestattungsgewerbe. Es wird auch nicht gespart beim letzten Weg, lieber bei anderen Dingen des täglichen Bedarfs, aber eine schöne letzte Reise muss es immer sein, beobachtet Angelika.

Ein schlichtes, leichtes Tor steht immer offen, und es sind recht viele Besucher:innen im späten Sonnenlicht unterwegs.

Wer liegt denn da?

Ein Spaziergang über den Friedhof ist immer auch Namenskunde und Genealogie. Viele Hämmerles, viele Böschs, Hagens und Grabhers natürlich. Sehr wenige Namen, die nicht nach Ureinwohner von Lustenau klingen. Jürgen Peter, zuständiger Gemeindebeamter, sagt, es seien ihm nur wenige muslimische Grabstätten am Hasenfeld bekannt. Die weitaus größte Mehrheit Verstorbener muslimischen Glaubens werde nach wie vor nach Hause gebracht. Nach Hause in das Herkunftsland Türkei zumeist. Auch in der dritten und vierten Generation noch, obwohl die die Türkei nur noch als Urlaubsland kennt. Da kümmert sich der ATIB darum, die Gemeinde ist nur für das Formale, also das Zettelwerk, zuständig.

Das letzte Bett ist eine Urne

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Immer mehr Menschen kommen auf ihrer letzten Fahrt in einer Urne am Friedhof Hasenfeld an, es dürften schon an die 90% sein. Das hat viele Gründe, aber Sparsamkeit ist auch einer davon. Die großen, weit verzweigten, ortsansässigen Familien von früher werden weniger. Die Kinder ziehen weit fort und haben keine Zeit, sich um ein Familiengrab zu kümmern. Viele alte Leute wollen auch keine Last sein für die Nachkommen, nicht einmal nach dem letzten Schnaufer. Also verfügt man: Die letzte Rast sei im Gemeinschaftsgrab. Das gibt es seit 2018 im Hasenfeld, und es erfreut sich stetig steigender Beliebtheit. Schon 48 Verstorbene haben in ihren Urnen hier einen letzten steingeschmückten Platz gefunden.
Auch sonst ist die Nachfrage nach Urnengräbern groß: Von 192 verfügbaren Plätzen sind bereits 175 belegt. Demnächst werden also 108 weitere Urnen-Gräber gebaut werden.
 

Was noch nicht liegt, sitzt gerne dort

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Ein Gemeindefriedhof ist das Hasenfeld also. Das bedeutet, der Friedhof ist für alle Bewohner:innen der Marktgemeinde offen und für die Sprengelzugehörigen sowieso. Und offen wirkt er auch bei einer Ortsbeschau an einem November- Nachmittag. Nicht nur fehlen hohe Mauern und begrenzende Bauten, es sind auch kaum Zäune zu den umgebenden Wiesen da. Ein schlichtes, leichtes Tor steht immer offen, und es sind recht viele Besucher:innen im späten Sonnenlicht unterwegs. Einige auch mit ihren Vierbeinern, was außergewöhnlich ist, denn eigentlich gibt es ja dieses Schild, man möge die Hündle nicht mitbringen auf den  Friedhof. Wo kein Kläger, da kein Richter - es scheint niemanden zu stören. Im Gegenteil: Besucherinnen und Besucher kommen ins Gespräch an diesem friedlichen Ort. Friedhofswart Heinz Hämmerle, der mit seinem Sohn und Mitarbeiterin Iva für Ordnung sorgt im Hasenfeld, weiß von vielen einsamen Herzen zu berichten, die sich schon übers Grab hinweg zu innigen Gesprächen gefunden haben. Aus seiner Erfahrung ist es die Kombination aus gleichem Schicksal und dem Hund, die die schönste Gesprächs-Basis bildet. Dann sitzen die Trauernden jeden Alters und Geschlechts unter einem schattenspendenden Baum und erfahren hoffentlich Erleichterung, während sich die Haustiere beschnüffeln. Man lernt viel über  Menschen bei der Arbeit am Friedhof, sagt Heinz, und auch nach vielen Jahren dort geht einem immer noch was nahe; Eltern zum Beispiel, die ihre Kinder begraben müssen. Das wär‘ so nicht vorgesehen, meint der Heinz.

Aber nicht nur Trauernde treffen sich am Friedhof. Gelegentlich sind es auch junge Leute oder es schläft auch mal ein Sandler dort. Heinz muss sich eigentlich selten ärgern über die Hinterlassenschaften der Besucher, aber gerade kürzlich wurden die Toilettenanlagen mit wüsten Schmierereien versehen. Das ist ärgerlich und kostet Geld. Und bevor sich jemand animiert fühlen sollte, seiner Kunst am Friedhof Ausdruck verleihen zu wollen: Die Klotüren schließen automatisch nach Einbruch der Dunkelheit! Der Friedhofswärter hat, neben der Beachtung allgemeiner Sauberkeit, auch die Aufgabe, Urnengräber auszuheben. Das erfolgt natürlich nicht wahllos, denn da würden womöglich unliebsame Ausgrabungen gemacht, nein: Es geht auch hier streng nach Plan, welcher bei Jürgen Peter im Gemeindeamt aufliegt. Jeder Sarg und jede Urne ist da kartographiert, und Heinz weiß somit genau, wo in der Grabstätte er das nächste Loch zu graben hat. Seine Geschichten von Hoppalas bei der Grabung oder Errichtung von Steinen würden Bände füllen, aber Heinz legt trotz seines guten Humors Wert darauf: Das bleibt unter uns und hat nichts in diesem Artikel verloren.

Harte Fakten, in Reihen

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Was fällt einem am Friedhof als Erstes auf? Exakt: Es sind die Reihen um Reihen an Steinen. Die fallen nicht vom Himmel und kommen auch nicht von selber dorthin, das macht im Hasenfeld (und auch sonst in Lustenau und bis ins ganze Land hinein) zumeist Steinmetz Raimund Loacker mit seiner herkulischen Mannschaft. In 30 Jahren hat er an die 1.000 Gräber gestaltet und wahrlich viel erlebt, auch die unterschiedlichsten Wünsche der Hinterbliebenen erfüllt. Man spricht bei der Auswahl des steinernen Grabschmucks viel übers Leben und versucht die Lebensphilosophie einer verstorbenen Person mit abzubilden. Wenn einer gern in den Bergen war, dann kann man das im Stein verewigen, mit einer Silhouette, einem Seil. Auch Blumen und Sterne sind beliebte Motive. Raimund Loacker ist dem Tod nach zwei schweren Erkrankungen noch einmal davongekommen. Vielleicht kann er auch darum so gut auf die Menschen eingehen, die zu ihm kommen. Der passionierte Sammler von Skulpturen versucht sich bei der Wahl der Steine so regional wie möglich umzutun. Wachauer Marmor, Granit aus Oberösterreich, gern auch Glaukonit vom  Hohenemser Steinbruch, wobei der aufgrund der starken Aderung leider nur bedingt für den Außenbereich eingesetzt werden kann. Was die Auswahl der Decksteine für die Urnengräber im Hasenfeld betrifft, würde sich Raimund Loacker mehr Rücksprache der Gestalter wünschen. Denn nicht immer sind die Architekten mit dem Material so gut vertraut wie er. Rein optisch mag ein Stein ja recht schmuck sein, die Haltbarkeit sei jedoch oft begrenzt, und zu ihm käme man dann seitens der Verwandtschaft, um sich zu beschweren. Aber das ist ein anderes Kapitel und gar nicht so wichtig eigentlich, denn was zählt, sagt Raimund, ist das Leben im wertvollen und einzigen Jetzt.

Der letzte Schmuck ist eine Blume

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Ein Friedhof ohne seinen Pflanzenschmuck wäre ein kahler, trister Ort ohne jede Aufenthaltsqualität, und unheimlich irgendwie. Und damit das nicht so ist, sorgt Familie Hagen schon seit Jahrzehnten dafür, dass der letzte Weg von Blumenduft gesäumt ist und dass auch nach dem letzten Fest auf der Ruhestätte immer was blüht und duftet. Chantal Hagen, die Juniorchefin, kümmert sich mit ihrem rein weiblichen Team um das florale Schöne, natürlich auch bei Hochzeiten und Taufen, nicht nur bei traurigen Anlässen. Fünf bis sechs Sterbefälle seien es schon pro Monat, und damit wesentlich mehr als Hochzeiten. Schwiegermama Brigitte, die Seniorchefin, ist es, die zumeist und bei jedem Wetter die Arbeit draußen macht. Grabsteine putzen, das Gras trimmen, Schalen neu befüllen und das Pflanzen saisonaler Schönheiten gehören, unterstützt von Magdalena Mätzler, die zum fixen „Friedhofsteam“ zählt, zu ihren Aufgaben. Eine schöne Arbeit sei es, den floralen Schmuck für die letzte Reise zu gestalten, finden alle drei. So ist das Leben, ist man versucht zu schließen: Geheiratet wird gern, aber selten, gestorben wird immer.