Der geteilte Weg zur Spitze
Um zu einem gestickten Kunstwerk zu kommen, braucht es mehr als eine Stickmaschine. Viel mehr. Das gute Stück geht durch zahlreiche Hände, bevor es Kunden aus aller Welt Freude macht. Diesmal wollen wir jenen Beachtung schenken, die sonst nicht vor den Vorhang geholt werden – ohne die sogenannten „Nebengewerbe“ geht in der Stickerei- Produktion nämlich gar nichts.
Von der Idee zur Zeichnung: Jasmin Hämmerle.
Jasmin hat Musterdesign so verinnerlicht, dass sie beim Spazierengehen Vorlagen in der Natur sieht und sich schon beim Anblick der Blume das Design und die technische Zeichnung vorstellen kann. Dort, aus der Natur, kommen auch die meisten ihrer Anregungen für Spitzen. Oder von Tapeten und Mustern, die sie im Vorbeigehen sieht und in ihrem Kopf- Archiv abspeichert, für später. Wenn sie Muster gestaltet, hat sie in den meisten Fällen gar keinen direkten Kontakt zu den Kunden, sondern wird vom Sticker beauftragt. Manchmal gibt es genaue Vorstellungen, oft aber heißt es: „Mach mir was Florales“. Oder „Ich hätte gern was Grafisches“. Dann nimmt sie Bleistift und Rapportpapier in die Hand und macht sich an die Gestaltung. Das hat zuerst noch nichts mit Stickmustern zu tun, dieser Schritt folgt dann am Computer anhand des gescannten Musterbildes. Jasmin macht eine technische Zeichnung daraus, die nun der Puncher lesen kann. Jasmin ist schon lange im Geschäft, hat den Beruf der technischen Zeichnerin in einer namhaften Lustenauer Stickerei gelernt. In ihrem Studio im Zentrum Lustenaus füllen raumhohe Ordner das Regal, darin tausende Muster für die unterschiedlichsten Kunden. Am liebesten mag sie „Ätz“, eine Technik, bei der Motive auf ein Hilfsgewebe gestickt werden, welches nach der Fertigstellung weggewaschen wird. Übrig bleibt ein filigranes, zartes Geflecht von höchster Handwerkskunst. Sie mag es auch sehr gerne, großzügige und farbige Muster für den afrikanischen Markt zu zeichnen. Wenn sie in fernen Ländern ihre eigenen Kreationen in den Geschäften sieht, freut sich ihr Designerherz ganz besonders.
Vom Papier auf die Nadel: Puncher Thomas Schneider
Thomas ist zwar kein Ur-Lustenauer, sondern in Altach zu Hause, aber er ist seit mehr als 30 Jahren Puncher in der Marktgemeinde. Das gilt. Schaut man ihm bei seiner Arbeit an einem riesenhaften, zeichenbrettähnlichen und beinahe raumfüllenden Gerät über die Schulter, staunt man über den unglaublichen Aufwand, den es macht, jeden einzelnen Punkt auf der technischen Zeichnung in eine Anweisung für die Stickmaschine zu übersetzen. Dabei geht das bei Thomas blitzschnell, und während er das papierene Musterblatt mit seiner „Nadel“ abtastet und verschiedene Tasten drückt, die der Stickmaschine später die richtigen Anweisungen erteilen wird, entsteht am Computer-Bildschirm ein spinnennetzartiges Gewebe in verschiedenen Farben vor schwarzem Hintergrund. Mit dem Punktesetzen ist es allerdings nicht getan für den Puncher mit Leidenschaft fürs technische Detail: Die Nadel muss so geführt werden, dass ein möglichst harmonisches Stickbild entsteht – die Ästhetik und Wertigkeit der Spitze –, aber auch so, dass der Ablauf im eigentlichen Stickprozess präzise, ressourcenschonend und effizient gestaltet werden kann. „Ohne Puncher geht nichts“, weiß Thomas, aber er sieht es in erster Linie als seine Aufgabe, als Mittler zwischen dem Designer/der Designerin und dem Sticker/der Stickerin die Aufgabe des „technischen Übersetzers“ sorgfältig wahrzunehmen. Thomas’ Leidenschaft für Stickerei geht so weit, dass er in jedem Urlaub in den Schaufenstern nach Spitzen Ausschau hält, die er möglicherweise selbst gepuncht hat. Da kommt es dann schon mal zu lustigen Erlebnissen, wenn er Verkäuferinnen erklären muss, dass sie ein Spitzenkleid verkehrt herum ausgestellt haben. Was er gar nicht gerne sieht, sind schlampig und billig gemachte Stickereien, da blutet ihm das Herz.
Der Verfeinerer: Scherler und Ausschneider Oliver Hagen
Eine spezifische Ausbildung gibt es für Scherler und Ausschneider nicht. Aber Oliver hat das Handwerk in die Wiege gelegt bekommen, denn schon der Urgroßvater hat die Maschine in den 30er Jahren gekauft. So etwas wie sie wird gar nicht mehr hergestellt, und gewartet wird sie großteils von Oliver und seinem Vater selbst, zusammen mit dem Maschinenschlosser Walter Bösch. Im Lauf der Jahre sind ein zweiter Scherzylinder (Messer), Metalldetektor und Ionisationsgerät sowie Luftbefeuchter ergänzt worden. Die Maschine befindet sich dadurch auf dem neusten Stand der Technik, ihr Prinzip ist aber immer noch dasselbe: Der bestickte Stoff läuft an einer Aufschneidewalze vorbei, die die Fäden zwischen den Stickmotiven auseinanderschneidet. Dann werden die losen Fäden angesaugt und nahe am Stoff vom rotierenden Schermesser abgeschnitten, das Ganze noch ein zweites Mal, zur Qualitätsverbesserung. So laufen die Coups (= Maß für Stickerei) säuberlich aneinandergenäht in einer langen Bahn durch die treue Maschine. Anschließend werden die Bahnen wieder getrennt und gehen auf den Weg – zurück zum Fabrikanten zum Spannen und Doppeln, oder in die Färberei. Und gefärbt, gebügelt und gefaltet kommen sie wieder zurück, denn auch das Ausschneiden besorgt Oliver Hagen, zusammen mit seiner Mitarbeiterin Helga. Was macht gute Scherler aus? „Qualitätsbewusstsein. Und die Messer müssen hauen wie Gift“, kommt es prompt zurück, da wird beim Scherler gut aufs Material geschaut. Da er der letzte seines Faches in Lustenau ist, und die Aufträge auch nicht mehr werden, ist Oliver sehr auf seine Werkzeuge und Maschinen bedacht: „Qualitativ können wir uns mit der ganzen Welt messen. Da fürchte ich mich auch nicht vor den Chinesen.“