News „Es gibt nur Gewinner“ 9. November 2018

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Nicht erst seit der Diskussion um die Ikea-Ansiedelung ist die Frage von Bauflächen für Betriebe ein vieldiskutiertes Thema. Grundstücke für Erweiterungen oder Neubauten sind auch in Lustenau stark nachgefragt, doch sind diese gerade für Klein- und Mittelbetriebe oft kaum mehr leistbar, wenn sie überhaupt zu bekommen sind. In Lustenau geht die Gemeinde mit dafür aufgeschlossenen Unternehmen in der Hinsicht neue Wege und setzt auf die Vergabe eines Baurechts auf gemeindeeigenen Grundstücken – mit Vorteilen für beide Seiten.

Im Baurechtsgesetz ist festgehalten, wie eine solche Partnerschaft aussieht: Der Bauberechtigte darf auf dem Grund des Eigentümers ein Gebäude errichten und bezahlt dafür an den Baurechtgeber, also den Eigentümer des Grundstücks, ein Entgelt, den sogenannten Bauzins. Der Bauberechtigte ist Eigentümer des Gebäudes, am Boden ist er Nutznießer. Nach Ablauf der vereinbarten Frist, die zwischen zehn und hundert Jahren betragen kann, fällt das Gebäude gegen eine zu­vor festgelegte Ablöse in das Eigentum des Grundbesitzers. Die Ge­meinde Lustenau möchte solche Partnerschaften forcieren, gerade auch für das neue Betriebsgebiet Heitere.

Kurz vor dem Wegzug

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Das Lustenauer Unternehmen Soltech pools&more hat jahrelang nach einer geeigneten Betriebsfläche gesucht. „Wir waren regelrecht Vagabunden und zogen umher“, beschreibt Manuel Hämmerle, Gesell­schafter des Komplettanbieters für nach Maß gefertigte Swimmingpools, Whirlpools, Infrarotkabinen und Saunas, die Situation. Immer wieder fragten sein Vater Dieter Hämmerle und er bei der Gemeinde nach, doch ein geeignetes Grundstück für das im Jahr 2000 gegründete, stetig wachsende Unternehmen war schwer zu finden. „Wir wollten bereits in die Schweiz umziehen, wo viele unserer Kunden ansässig sind. Es war bereits alles ausgemacht, als wir aus dem Bauch heraus entschieden, diesen Schritt nicht zu tun“, sagt Manuel Hämmerle. Ganz ähnlich stellte sich die Lage für den Lustenauer Elektroinstallationsbetrieb Kremmel+Schneider dar. „Wir suchten acht Jahre lang etwas zur Miete, das gaben wir auf – es gab nichts am Markt, das geeignet und bezahlbar war. Unsere Situation am bisherigen Standort wurde immer beengter, wir fanden kein geeignetes Grundstück. Wir standen knapp vor dem Wegzug aus Lustenau“, berich­ten die Geschäftsführer Christian Schneider und Gernot Kremmel. Als Raimund Zirker, Leiter der Abteilung Wirtschaft in der Gemeinde Lustenau, der sowohl mit Soltech als auch mit Kremmel+Schneider stets in Kontakt stand und sie bei ihrer Suche begleitete, ihnen Gemeindegrundstücke vorschlug, die sie im Baurecht bebauen könnten, waren die Unternehmer zunächst skeptisch.

Auf Boden bauen, der einem nicht gehört?

„Das Bauen im Baurecht kommt nach wie vor nicht gut an bei den Unternehmen, Eigentum wird bevorzugt. Das liegt am klassischen Vorarlberger Denken. Die Knappheit bei Boden wird da ein Um­denken bringen. In Deutschland und der Schweiz ist das Bauen im Baurecht durchaus üblich“, so Raimund Zirker. „Denn viele Flächen sind in öffentlicher Hand, diese will sie aber für die Zukunft sichern und daher nicht verkaufen. Zudem haben viele dieser Grundstücke eine eher kleine Größe, das macht eine optimale Verwertung nicht leicht“, so die Problematik für die Kommunen laut Raimund Zirker. „Das Baurecht kann da ein Ausweg sein, um vor allem Klein- und Mittelbetrieben ein Angebot zu machen. Im Fall von Soltech betraten wir Neuland. Wir konnten seitens der Gemeinde kurzfristig die Fläche an der Dornbirnerstraße erwerben. Wir machten Soltech den Vorschlag – dann ging es eigentlich sehr schnell“, berichtet Raimund Zirker. „Wir mussten schon einmal darüber schlafen“, bekennt Manuel Hämmerle, „aber es hat dann einfach gepasst – und das Potenzial der guten Werbelage war uns sofort klar.“ Außerdem: „Wenn man den Grund nicht auch noch kaufen muss, ist das Risiko beim Neubau de facto viel niedriger“.

„Für uns hat es sich gelohnt“

Soltech

Auf dem 1.500 Quadratmeter großen Grundstück errichtete Soltech schließlich vor drei Jahren in wenigen Monaten Bauzeit ein rund 750 Quadratmeter großes neues Geschäftsgebäude an der Haupt­verkehrsroute in die Schweiz. Der Baurechtsvertrag ist auf 40 Jahre ausgelegt. Die Baukosten für das zweistöckige Objekt mit der markanten rostbraunen Sandwichpaneel-Fassade in Beton und Holz la­gen bei rund 1,2 Mio. Euro. Die neue Infrastruktur erleichtert die Abläufe und die Mitarbeitersuche. „Und man geht mit mehr Freude zur Arbeit“, findet er. „Der Neubau war ein Schub für uns. Es ist ein ganz anderes Wirtschaften. Der Standort ist ideal: Jeder kennt uns jetzt, weiß, wo wir sind. Wir haben viele neue Kun­den gewonnen. Was früher bei uns getrennt war, ist jetzt alles an einem Ort: Lager, Shop und Büros. Das spart Zeit und Geld“, beschreibt Manuel Hämmerle die Auswirkungen. Ein Drittel des Gebäudes, das ganz nach den Bedürfnissen von Soltech geplant und betriebsstörungsarm von einem Gene­ralunternehmer errichtet wurde, ist an ein Küchenstudio vermietet, was Soltech auch Laufkundschaft bringt. Zubehör und das umfangreiche Wasserpflegeprogramm können nun optimal im Shop präsentiert werden. „Beratung und die Produktpräsentation ist für uns sehr wichtig, weil wir vor allem individuell angepasste Lösungen bieten. Unsere Kunden schätzen das“, so Manuel Hämmerle. Während sich früher vier Mitarbeiter ein 30 Quadratmeter-Büro teilten, sind heute acht Beschäftigte für Soltech tätig. „Mit dem Neubau ging ein richtiger Ruck durch die Firma. Wir sind auf der Suche nach einem neuen Standort dran geblieben, haben nicht locker gelassen. Für uns hat es sich gelohnt. Es gäbe nichts, was wir anders machen würden“, so sein Fazit.

„Es ist eine Win-win-Situation“

Auch Kremmel+Schneider konnten sich zunächst mit dem Baurechtsangebot nicht anfreunden. „Das ist einfach ungewohnt hier in Vorarlberg! Wir haben uns zunächst schon gesträubt. Aber dann haben wir festgestellt: Für ein KMU, das nicht über das Kapital eines Großkonzerns verfügt, ist diese Lösung eigentlich das Geschickteste. Es ist eine Win-Win-Situation“, so Christian Schneider. Das 1.290 Quadratmeter große, brachliegende Grundstück an der Höchster Straße ist das, was Raimund Zirker ein „Nebengrundstück“ nennt. „Es war auch für mich zunächst schwer vorstellbar, dort etwas zu realisieren. Das Grundstück ist eher klein, leicht abfallend und der Grundriss ist schwierig. Es ist ein Beispiel dafür, dass sich auch für solche Flächen eine sinnvolle Nutzung ergeben kann, wenn ein Unternehmen dafür offen ist“, erklärt Raimund Zirker. Die Unternehmer besprachen sich mit ihrem Steuerberater und dachten dann um: „Die finanzielle Belastung für den Grundstückskauf fiel weg. Und der Neubau amortisiert sich viel rascher. Dank der Gemeinde ist zudem der Bauzins sehr überschaubar. Es ist eine von beiden Seiten gewollte Partnerschaft auf Augenhöhe für die nächsten 50 Jahre. Es gibt nur Gewinner“, so Christian Schneider. „Klar, die Wertsteigerung des Grundes steht nicht in der Bilanz, aber dafür hat man auch keine Kosten. Und wir wollen ja in erster Linie arbeiten, nicht mit Grund spekulieren“, ergänzt Gernot Kremmel.

Neubau öffnet neue Wege

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Der neue zweistöckige Firmensitz von Kremmel+Schneider wurde im Herbst 2017 bezogen und besticht mit einer gradlinigen Holzfassade. Das umweltfreundliche Gebäude in Holzbauweise nutzt die Gegebenheiten optimal und bietet rund 800 Quadratmeter, die je zu einem Drittel als Lager, Werkstatt und Büro genutzt werden. Es verfügt über eine Tiefgarage mit 15 Plätzen. „Hier haben wir das ab­fallende Gelände mitgenützt“, erklärt Gernot Kremmel. Die Baukosten lagen bei 1,5 Mio. Euro. „Die elektrischen Anlagen waren sehr aufwendig. Dafür liefert uns unsere Photovoltaikanlage jetzt auch Strom für unser Elektroauto. Die Betriebskosten im Winter liegen bei niedrigen 300 Euro“, berichtet Christian Schneider. Während im Erdgeschoß an Elektroinstallationen, Sat-TV, Gebäudetechnikinstallationen und Strukturverkabelungen gearbeitet wird, sitzt im Obergeschoß die Tochtergesellschaft Sontec, die auf kundenspezifische Sonderanfertigungen für den Bereich Elektronik, Steuerungstechnik und BUS-Technik spezialisiert ist. Das neue Gebäude kommt auch bei den Kunden gut an. „So ein Neubau öffnet neue Wege – für Kunden und für Mitarbeiter“, freut sich Christian Schneider.

Ansatz für Betriebsgebiet Heitere

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Der Ansatz, sich vor allem für Klein- und Mittelbetriebe als interessanter Standort anzubieten, macht sich in einer großen wirtschaftlichen Vielfalt für die Gemeinde Lustenau bezahlt, womit man dank der Diversität der Arbeitsstellen auch beim Kommunalsteueraufkommen breiter aufgestellt ist bzw. weniger abhängig, als wenn nur ein Großbetrieb dominieren würde. Das neue Betriebsgebiet Heitere, das auf einer Fläche von rund 15 Hektar im Süden der Gemeinde entstehen wird, hat große Bedeutung für den zukünftigen Wirtschaftsstandort Lustenau. Daher hat die Gemeinde dort in den vergangenen Jahren zahlreiche Grundstücke erworben, mit dem Ziel, Unternehmen anzusiedeln. „Um weiterhin Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können und die Flächen für die Zukunft zu sichern, soll Betrieben auch dort das Angebot gemacht werden, sich im Baurecht niederzulassen“, erklärt Raimund Zirker. Die Gemeinde zeige sich interessierten Unternehmen hier sehr entgegenkommend.